In Dresden machte ein Fall Anfang August Schlagzeilen: Ein siebenjähriger Grundschüler aus Rathen sollte künftig statt mit einem Spezialbus mit der S-Bahn nach Königstein in die Grundschule fahren. Der Landkreis hatte den freigestellten Schülerverkehr aus Kostengründen gestrichen und verweist auf vorhandene ÖPNV-Strukturen.1
Die Eltern des Kindes kritisierten, dass der Schulweg nun jedoch zu gefährlich sei: Güterzüge, unsichere Bahnsteige und schwierig einzuschätzende Straßenverhältnisse machen den Schulweg nicht zumutbar für ein Schulkind in der 2. Klasse. Sie klagten daraufhin, scheiterten jedoch vor dem Verwaltungsgericht Dresden. Die Richter erklärten: Die tägliche Fahrt sei für den Zweitklässler durchaus zumutbar. Doch was genau bedeutet „zumutbar“ in diesem Zusammenhang eigentlich?
Unterschiedliche Maßstäbe für zumutbare Schulwege in den Bundesländern
Ob ein Schulweg als „zumutbar“ gilt oder nicht, wird nicht einheitlich in Deutschland geregelt. Die Zuständigkeit liegt auf Landesebene und bei den Landkreisen und kreisfreien Städten, die ihre Kriterien in eigenen Satzungen festschreiben. Dadurch entstehen Unterschiede in Beurteilungskriterien, z.B. bei Mindestentfernungen oder der Bewertung von Gefahrenstellen.
Für die generelle Kostenerstattung der Schülerbeförderung gilt in der Regel: In der Grundschule wird ein Anspruch ab einer Mindestentfernung zu Fuß von rund 2 Kilometern angenommen. Ab der Sekundarstufe I steigt diese Schwelle meist auf 3 bis 3,5 Kilometer. Erst wenn diese Distanz überschritten wird, haben Kinder grundsätzlich Anspruch auf eine organisierte Schülerbeförderung oder die Erstattung von Fahrtkosten. Aber auch hier findet man diverse Urteile in der Rechtsprechung, die unterschiedlich ausgelegt werden.
Mehr als Meter und Minuten
Doch Entfernung allein reicht als Bemessungskriterium nicht. Viele Satzungen berücksichtigen zusätzliche Faktoren:
- Schulwegezeit: Wie lange benötigt das Kind insgesamt von der Haustür bis zur Schule
- Weg zur Haltestelle: Ist der Bus- oder Bahnanschluss fußläufig erreichbar?
- Wartezeiten: Wie hoch ist die Wartezeit bei Umsteigeverbindungen?
- Startzeit: Muss das Kind zu einer unzumutbar frühen Zeit das Haus verlassen?
Diese Kriterien sollen verhindern, dass Kinder zwar rechnerisch in Reichweite einer Schule wohnen, praktisch aber unverhältnismäßig lange unterwegs sind.
Gefährliche Schulwege sind eine Auslegungssache

Noch schwieriger ist die Bewertung der Gefährlichkeit.
Hier gibt es keine bundeseinheitliche Definition. Manche Landkreise prüfen, ob ein sicherer Gehweg vorhanden ist. Andere berücksichtigen, ob der Schulweg durch Wälder, über Friedhöfe oder entlang ungesicherter Landstraßen oder sehr verkehrsreicher Straßen führt. Auch Bahnübergänge oder schlecht beleuchtete Abschnitte können ein Ausschlusskriterium sein.
Gerade bei jüngeren Kindern spielen solche Faktoren eine wichtige Rolle. Eltern befürchten, ihre Kinder seien den Gefahren des Straßenverkehrs nicht gewachsen. Oft sind das Einzelfallentscheidungen und Gerichte müssen dann abwägen, ob diese Sorgen berechtigt sind.
Beurteilung eines zumutbaren Schulwegs – Beispiele aus Sachsen
Ein Blick nach Sachsen in die benachbarten Landkreise Mittelsachsen (Verkehrsverbund Mittelsachsen ZVMS) und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge zeigt, dass sich selbst innerhalb eines Bundeslandes unterschiedlich ausgelegte Zumutbarkeitsbeurteilungen finden:
Beide Satzungen begrenzen die Wartezeit auf maximal 45 Minuten für jüngere Schüler, allerdings bietet die Satzung des ZVMS gestufte Wartezeiten je nach Klassenstufe (bis zu 120 Minuten ab Klasse 11). Die Mindestentfernung für die Kostenerstattung beträgt bei beiden Satzungen 2 km bis Klasse 4, ab Klasse 5 unterscheiden sie sich: 3,5 km (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) vs. 3 km (ZVMS).2,3 Ziehen wir den Landkreis Nordsachsen hinzu, reicht bereits 1 km Entfernung aus, um in der Grundschule an organisierter Schülerbeförderung teilzunehmen.4 In Bezug auf die Gefährlichkeit finden sich keine genauen Angaben in den Satzungen; lediglich Formulierungen wie:
Eine Entscheidung darüber, ob eine besondere Gefährdung vorliegt, trifft der Aufgabenträger im Benehmen mit dem jeweiligen Schulträger unter Beachtung der örtlichen Schulwegpläne.
(Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Satzung zur Schülerbeförderung des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (2022), S. 4)
Jeder Fall ist individuell
Der Dresdner Fall zeigt: Die „Zumutbarkeit“ eines Schulwegs lässt sich nicht pauschal beantworten. Jeder Schulweg ist anders, jedes Kind ist individuell. Genau deshalb beschäftigen sich Verwaltungen, Landkreise und auch wir uns täglich mit diesem Thema. In unserer Software myVIA bzw. VIA spielt die Prüfung von Anträgen auf Schülerbeförderung eine zentrale Rolle. Hier müssen die genannten Kriterien systematisch erfasst, bewertet und im Einzelfall entschieden werden. Prüfsets können individuell angelegt und gefährliche Stellen im jeweiligen Gebiet bei der Planung ausgeklammert werden. Welche Kriterien jedoch genau angelegt werden, kann schlussendlich nicht pauschal beantwortet werden und kommt auf die jeweilige Region an.
Zumutbarkeit von Schulwegen als Dauerbrenner in der Bildungspolitik
Die Frage, wie viel Kindern auf dem Schulweg zugemutet werden kann, bleibt ein Streitpunkt zwischen Eltern, Schulträgern und Gerichten. Solange Kriterien nicht bundeseinheitlich festgelegt sind, wird es auch künftig regionale Unterschiede geben, die sehr individuell ausgelegt werden müssen. Für Familien bedeutet das: Wer Zweifel an der Zumutbarkeit des Schulwegs hat, muss genau prüfen, welche Regeln im eigenen Landkreis gelten und im Zweifelsfall den Rechtsweg antreten.
Quellen
1) Entscheidung in Sachsen. Gericht hält tägliche S-Bahn-Fahrt für Zweitklässler für zumutbar [17.08.2025]
2) Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Satzung zur Schülerbeförderung des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (SchBS) vom 09.02.2022 [12.08.2025].
3) Neufassung der Satzung des Zweckverbandes Verkehrsverbund Mittelsachsen über die Schülerbeförderung und die Erstattung der notwendigen Beförderungskosten (Schülerbeförderungssatzung SBS) vom 04.03.2022 [14.08.2025].
4) SATZUNG über die Erstattung der notwendigen Schülerbeförderungskosten des Landkreises Nordsachsen (Schülerbeförderungssatzung) für das Schuljahr 2023/24 [20.08.2025].




